Anfang des Jahres durften wir einen Beitrag zu einem spannenden Sammelband beisteuern: "Modernes Innovationsmanagement - Chancen und Herausforderungen zwischen Fortschritt und Wachstumsgrenzen", herausgegeben von Remigiusz Smolinski. Unser Kapitel "Öffentliche Innovation neu denken" analysiert, warum herkömmliche Innovationsmethoden bei den Metakrisen des 21. Jahrhunderts so oft versagen.
Die zentrale These:
Die Denk- und Handlungsmuster aus der Start-up-Welt (Hackathons, Design Thinking, "Move fast and break things") sind nicht nur ungeeignet für komplexe gesellschaftliche Herausforderungen - sie sind sogar mitverantwortlich dafür, wo wir heute stehen.
Vier Missverständnisse
Warum ist das so? Es gibt natürlich viele Gründe - im Beitrag schauen wir uns aber vier Klassiker genau an:
1. Verwechslung des Problemkontexts
Wir behandeln komplexe Herausforderungen wie komplizierte Probleme: Eine Uhr zu reparieren ist kompliziert, aber lösbar. Nachhaltige Mobilität in einer Millionenstadt zu gestalten ist komplex - mit unzähligen vernetzten Faktoren und unvorhersehbaren Wechselwirkungen. Hier gibt es keine richtige oder falsche Lösung, sondern nur mehr oder weniger wünschenswerte Ziele, Entwicklungen, und Vorgehensweisen.
2. Die Silver-Bullet-Mentalität
Trotzdem suchen wir in Innovationswettbewerben oft "die eine beste Lösung", in Projekten stellen wir Masterpläne auf, die konkrete Ergebnisse (Outputs) produzieren sollen. Doch gesellschaftliche Transformation entsteht durch das Zusammenspiel vieler paralleler und vernetzter Ansätze, nicht durch singuläre Durchbrüche. Das heißt auch Problemursachen, gewünschte Wirkungen und gute Ideen ergeben immer nur in einem ganz bestimmten Kontext Sinn. Schlimmer noch, sie sind oft hoch subjektiv, vielfältig und dynamisch, dh. sie verändern sich im Laufe der Zeit. Die Suche nach "Magic Bullets" und "Root Causes" verpasst diese Vielschichtigkeit strukturell.
3. Der Skalierungsirrtum
Die Prinzipen der klassischen Start-up-Skalierung funktionieren nicht für öffentliche Innovation - es sei denn man blendet dabei sehr, sehr viel aus. Charles Leadbeater formuliert es so: "Die meisten sozialen Innovationen bleiben an einem Ort gefangen und können nicht über die spezifischen Bedingungen hinauswachsen, in denen sie ursprünglich entstanden sind." Das liegt u.a. daran, dass die lokalen Kontexte, die Zeithorizonte, die Teilnehmenden und viele andere Faktoren immer ein bisschen anders sind. Jede:r, der oder die schon mal die guten Beispiele aus einer anderen Stadt oder Organisation bei sich implementieren wollte, kennt das: "Super Idee, aber bei uns geht das nicht so weil..." Das ist keine Ausrede, nichts zu tun – aber da ist was dran.
4. Verschwendetes Nicht-Wissen
Statt Unsicherheit als Startbedingung für echtes Lernen zu nutzen, behandeln wir sie als Störung, als Problem oder Defizit. Dabei liegt gerade im Bemerken, Anerkennen und Nutzen der eigenen Widersprüche und blinden Flecken ein enormes Potential. "Learning our way to a solution" als Schlüssel für angemessene Antworten auf unvorhergesehene Herausforderungen.
Drei Ressourcen für systemische Innovation
Wir zeigen auch konstruktive Wege auf: Nicht-Wissen, Hilflosigkeit und Verwirrung werden zu wertvollen Ressourcen, wenn wir lernen, mit ihnen produktiv zu arbeiten. Praktische Ansätze wie systemische Portfolios, die "Climate Transition Map" der NetZeroCities Mission oder die Arbeit mit Paradoxien bieten konkrete Orientierung für eine neue Praxis öffentlicher Innovation. Und auch ein paar Handlungsprinzipien, die wir empfehlen, immer wieder in Erinnerung zu rufen, führen wir auf.
Der Beitrag spiegelt viele der Gedanken wider, die wir auch bei protocol entwickeln: Wie können wir öffentliche Innovation so gestalten, dass sie Komplexität ernst nimmt und konstruktiv damit umgeht? Wie sorgen wir dafür, dass wir dabei nicht vor lauter Komplexität keine konkreten Pläne mehr fassen können? Und wir übertragen wir all das in unseren ganz konkreten Alltag?
Für alle, die tiefer in diese Gedankenwelt eintauchen möchten: In unserem Kurs "Öffentliche Innovation neu denken" vermitteln wir diese und weitere Ansätze praxisnah und anwendungsorientiert. Es gibt noch freie Plätze!